Stationäre Jugendwohngruppe: Vor- und Nachteile für die pädagogische Fachkraft
Du glaubst es ist schwer, sich um einen Teenager mit schlechter Laune zu kümmern, dann probiere es einmal mit acht Jugendlichen in einem Haus.
Warum ich diesen Artikel über Jugendwohngruppen schreibe:
Wie oft habe ich gehört, wie ist es in einer Jugendwohngruppe zu arbeiten, was ist eigentliche eine Wohngruppe, wer wohnt in dieser Wohngruppe, kannst du dir vorstellen bis zur Rente in der Wohngruppe zu arbeiten? Fragen über Fragen, berechtigt, besonders auch für angehende Erzieher/innen, die sich noch nicht entscheiden konnten wo sie nach der Ausbildung arbeiten möchten.
Zu meiner Person, ich bin 27Jahre alt und habe zwei Jahre in einer stationären Mädchen-Jugendwohngruppe gearbeitet, zu Beginn der Arbeit in der Mädchenwohngruppe war ich 24 Jahre alt. Vor meiner Erzieherausbildung habe ich ein freiwilliges soziales Jahr in einer stationären Kinderwohngruppe und in einem Jugendclub absolviert. Des Weiteren liegen meine beruflichen Erfahrungen in Praktika, Festanstellungen oder ehrenamtlichem Mitwirken in Jugendfreizeiteinrichtungen, Jugendwohngruppen (Mädchen und Jungen) und Horten, Kinderbetreuung im Asylbewerberheim, Betreuung und Workshopleitung in Sommerferienlagern sowie Kleinkind-Betreuung.
In diesem Blog möchte ich meine persönliche Erfahrungen als pädagogische Fachkraft in einer stationären Jugendwohngruppe mit euch teilen und vielleicht verhelfe ich dem/der einen oder anderen Erzieher/in und angehende/n Erzieher/in bei ihrer/seiner Entscheidung in einer Wohngruppe zu arbeiten.
Was ist eine Wohngruppe?
Beginnen wir erst einmal mit einigen allgemeinen Fragen.
Eine Kinder- und Jugendwohngruppe ist eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche, die einer Fremdunterbringung bedürfen und soll den zu betreuenden Kindern und Jugendlichen außerhalb der Familie einen Lebensraum bieten, in dem ihre individuellen, entwicklungsbedingten, emotionalen, körperlichen und sozialen Bedürfnisse befriedigt werden. Das Erlernen von Selbstbestimmung und Alltagskompetenz wird ermöglicht und eine Integration in die Infrastruktur des Wohnbezirkes geboten. Nach Möglichkeit wird an einer Rückführung in die Familie gearbeitet. Ziel: der Erwerb von Ressourcen für die Aufarbeitung von sozialen und emotionalen Defiziten, die soziale Reintegration und Behebung von Teilleistungsdefiziten durch gezielte individuelle Förderung. Zukunftsplanung erarbeiten. Selbstständigkeit Selbstorganisation.
Siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Wohngruppe
Ich persönlich habe nach der Unterbringungsgrundlage der §27 in Verbindung mit den §34,41 SGB VIII und der §35a VIII nach intensiver vorheriger Prüfung gearbeitet. Die dort zu betreuenden Mädchen und jungen Frauen waren im Alter von 14 bis 18 Jahren. Die Unterbringung war für bis zu acht Jugendliche ausgestattet.
Was für Wohngruppen gibt es in der Kinder- und Jugendhilfe?
Es gibt verschiedene betreute Wohnformen, darunter befindet sich nicht nur die stationäre Jugendwohngruppe. Hier eine kurze Auflistung:
Wie sehen Wohngruppen aus und wo gibt es sie?
Eine stationäre Wohngruppe kann sich in einer Wohnung befinden, in einem Haus mit weiteren Mietern, kann sich in einem Einfamilienhaus befinden oder auch in einem gesamten angemieteten oder gekauften Haus oder Villa, in dem mehrere Wohngruppen untergebracht werden können. In den Wohngruppen gibt es wie auch bei Familien, möblierte Einzelzimmer oder Doppelzimmer. Die Kinder und Jugendlichen brauchen daher nur ihre eigenen persönlichen Kleidungsstücke und Gegenstände wie Schulmaterialien, Spiele, Bücher etc. bei ihrem Einzug mitbringen. Ansonsten findest du in einer Wohngruppe eine Wohnküche, die gemeinsam genutzt wird (wobei die Hauswirtschaftskraft meistens für das Kochen unter der Woche verantwortlich ist), ein oder mehrere Gemeinschaftsbäder, ein Erzieherbad, ein Erzieherbüro/-abteilung und einen Gemeinschaftsraum für alle Mitbewohner, in dem Gemeinschaftspiele stattfinden und auch ferngesehen wird.
Jede WG hat ein eigenes Wohngruppenkonzept nach welchem gearbeitet wird, sowie eine Hausordnung, die jede/r Jugendliche bei seinem Einzug unterschreiben muss. Diese Wohngruppen sind überall im ganzen Land verbreitet aufzufinden.
Nach diesen einleitenden Erklärungen, kommen wir jetzt zu meinen persönlichen Erfahrungen, sowie Erfahrungsberichten von anderen Erzieher/innen und Sozialarbeitern. Vorab die mir häufig gestellte Frage:
Warum habe ich mich dafür entschieden in einer Mädchenwohngruppe zu arbeiten?
Für mich stand schon in meiner Erzieherausbildungszeit fest, dass ich mit Jugendlichen arbeiten möchte. Aber erst zum Ende meiner Ausbildung habe ich mich entschlossen, mich ausschließlich für Jugendwohngruppen zu bewerben. Ich fand die Arbeit in meinen Praktika in der Ausbildung und in meinem FSJ in den jeweiligen Wohngruppen immer sehr interessant und wollte dies gerne als staatlich anerkannte Erzieherin weiter ausüben. Mich lockte aber nicht nur die generelle Arbeit in den Wohngruppen, sondern auch in einem kleinen Team zu arbeiten, mit verschiedenen Berufsgruppen (Lehrern, Therapeuten, Ärzte etc.) zu arbeiten, sowie die Schicht-Wochenend-und Feiertagsdienste. Zur damaligen Zeit konnte ich mir keine festen geregelten Arbeitszeiten von Montag-Freitag vorstellen.
Die Entscheidung für die Mädchenwohngruppe habe ich getroffen, da es für mich eine neue Herausforderung war, nur mit Mädchen zu arbeiten. Aber mir gefiel auch das Team und der Standort, die meine Entscheidung mit beeinflusst haben. Mir ist die Zusammenarbeit in einem gut funktionieren Team sehr wichtig und dies war dort gegeben.
Aufgaben der pädagogischen Fachkraft in einer Jugendwohngruppe
Alle Aufgaben die zu erledigen waren, wurden in einem vierköpfigen Team getätigt. Diese sind insbesondere:
Welche Vor- und Nachteile, hat eine pädagogische Fachkraft, bei der Arbeit in einer Jugendwohngruppe?
Kommen wir nun zu dem Hauptanliegen dieses Blogartikels, in dem ich meine persönlichen und auch Erfahrungsberichte von anderen Erzieher/innen sowie Vor-und Nachteile aufliste, als pädagogische Fachkraft in einer Jugendwohngruppe zu arbeiten.
Beginnen wir mit den Vorteilen in einer Jugendwohngruppe zu arbeiten.
Zu allererst sollte dir bewusst sein, dass du als Erzieher/in einen sehr wertvollen Job ausübst und vieles Gutes tun kannst und das beziehe ich auf alle Jobs, die Erzieher/in leisten.
Du arbeitest in einem kleinen Team. In einem vierköpfigen Team zu arbeiten, lässt bei vielen das Gefühl aufkommen, dass dieses Team mit den Jugendlichen zusammen deine zweite Familie ist. Absprachen haben kürzere Wege und können schneller bearbeitet werden.
Keine starren Arbeitszeiten. Geregelte Arbeitszeiten gibt es einer Wohngruppe nicht. Ausnahmen gibt es dennoch, z.B. wenn einer der Kollegen einer längerfristigen Aus- oder Weiterbildung nachgeht und zu den Schulungstagen nicht in den Dienst kann. Ansonsten stehen die üblichen Schicht- und Wochenenddienste an, wobei Feiertage mit inbegriffen sind.
Du kommst mit vielen Menschen in Kontakt. Du arbeitest nicht nur in deinem Team und mit den Jugendlichen in der Wohngruppe, die Zusammenarbeit erfolgt auch über viele Berufsgruppen, wie zum Beispiel mit den Schulen und den Lehrern, mit Ärzten, Therapeuten, Jugendämtern, Erziehern, Sozialarbeitern anderen Wohngruppen, sowie dem Familien-und Bekanntenkreis der Jugendlichen.
In diesem Beruf lernst du dich noch einmal neu und/oder besser kennen. Du reflektierst deine Arbeit, dein Verhalten, dein Auftreten und vieles mehr immer wieder. Somit kennst du deine Stärken und auch deine Schwächen ganz genau und weißt, wie du in bestimmten Situationen handeln solltest.
Du wirst ständig gefordert und gefördert. Über Weiterbildungen und dem Alltag in der Wohngruppe lernst du nie aus. Dabei bringst du deine eigenen Erfahrungen und Ideen in das Team und die Arbeit mit ein, so entsteht ein kontinuierlicher Wissensaustausch.
Du stehst immer wieder neuen Herausforderungen gegenüber. In einer Wohngruppe wirst du keine monotonen Arbeitsabläufe vorfinden. Diese gestalten sich abwechslungsreich. Kein Dienst ist wie der andere.
Die hohe Verantwortung, die du in diesem Beruf trägst, muss dir bewusst sein und du solltest damit umgehen können. Sobald du das Vertrauen der Jugendlichen hast, fühlst nicht nur du dich in deiner Arbeitsausführung sicherer, sondern auch alle anderen Beteiligten. Du baust eine Verbundenheit mit den Jugendlichen, ihrer Familie und dem Bekanntenkreis auf und deren Schicksalen. Du stehst den Jugendlichen immer emotional bei.
Bei der Alltagsbegleitung der Jugendlichen gibst du verstärkt Unterstützung bei Problemen, ob bei den Hausaufgaben, Familien-oder Freundesangelegenheiten oder Vorkommnissen in der Wohngruppe. Es ist bedeutsam, wenn du wahrnehmen kannst, dass die Hilfe angenommen wird. Du kämpfst mit ihnen zusammen.
Besonders in der langfristigen Arbeit in einer Wohngruppe ist es erfreuend und wertvoll mit anzusehen wie die Jugendlichen sich entwickeln, an ihren eigenen Zielen arbeiten und dabei zu jungen Erwachsenen heranwachsen.
So wie im Leben ist auch bei dieser Arbeit nicht alles ein Zuckerschlecken. Betrachten wir jetzt einmal die Nachteile, welche sich aus meiner Sicht ergeben.
Du lebst für die Arbeit. Dein Privatleben kann unter den Arbeitszeiten leiden, da du oft an Tagen und Tageszeiten arbeitest, wenn dein Familien-, Freundes-und Bekanntenkreis frei hat. Somit können auch die Schicht,- Wochenend,- und Feiertagsdienste belastend werden.
Das Abschalten von der Arbeit muss gelernt sein. Du solltest die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen, sondern in deiner Freizeit auf dich achten, um gesund zu bleiben.
Die immer wiederkehrenden neuen Herausforderungen können auch zu einem Stressfaktor und zur psychischer Belastung werden.
Die hohe Verantwortung kann dich unter Druck setzen und im schlimmsten Fall zu Fehlentscheidungen führen.
Bei der anhaltenden Fluktuation kann es zu Demotivation kommen, da die neuen Erzieher immer wieder neu eingearbeitet werden müssen und es dadurch schwer ist, an neuen Projekten etc. zu arbeiten.
Deine Multitasking-Fähigkeiten rufen regelrecht nach dir. Während du im Dienst deiner alltäglichen Arbeit nachgehst (to-do-Liste), musst du immer ein offenes Ohr für die Jugendlichen und ihre Anliegen und Bedürfnissen haben. Auch dieser Punkt führt bei einigen zur Überforderung, sodass wichtige Aufgaben in Vergessenheit geraten können.
Einige Jugendliche haben mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen und du musst damit umgehen können.
Auch bei Jugendlichen, welche die Hilfe nicht annehmen möchten, ist Akzeptanz von dir gefragt. Erzieher und Sozialarbeiter sagen dazu: „Du musst sie ziehen lassen. Wir können Ihnen unsere Hilfe nicht aufzwingen“. So kann auch die fehlende Entwicklung der Jugendlichen belastend für dich sein.
Ich rate dir, dich bei jeglichen Problemen oder Sorgen während der Arbeit an dein Team, Leitung oder auch Supervisor/in zu wenden, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Sie sollten immer hinter dir stehen und für Rat und Feedback zur Seite stehen, um so auch eine gute Zusammenarbeit zu garantieren.
Ich hoffe, du konntest einen kleinen Einblick in die Wohngruppenarbeit erhalten und ich konnte dir bei deiner Entscheidung weiterhelfen, in einer Wohngruppe zu arbeiten. Falls ich dein Interesse geweckt haben sollte, würde ich trotzdem jedem raten vorab ein Praktikum in einer Wohngruppe zu absolvieren, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Zum Abschluss interessiert es mich natürlich brennend, ob du es dir vorstellen kannst, in einer Wohngruppe zu arbeiten?
Hallo Isabell,
Ich habe mit großem Interesse deine ausführliche Beschreibung zur Tätigkeit in einer Wohngruppe gelesen. Ich habe Bewerbungsgespräche und überlege, ob dies das richtige für mich ist. Deine Gedanken waren/sind sehr Hilfreich für mich.
Ich bin leider nicht mehr 27, trotzdem ist es auch nach vielen Jahren der Erfahrung eine Herausforderung. Deine Begeisterung kann ich spüren ,toll.
LG Katrin
Ein Kind benötigt ein ganzes Dorf um ein guten Weg zum Erwachsensein zu gehen. Dieser Weg darf Umwege erhalten. Am Ende zählt das Ziel.
Ein Dorf ist eine Gemeinschaft verschiedener Fähigkeiten und Möglichkeiten. Eine Wohngruppe ist wie ein kleines Dorf im Großen Dorf. Sie ist Familienekrgänzung, manchmal auch Familienersatz.
Leider wird diese wichtige Sicht aus der Perspektive des Kindes/ Jugendlichen nicht gesehen. Fluktuation der Erziehungskräfte, teilweise wenig vorbildliches Verhalten der Erziehungskräfte führen zu weiteren Irritationen der Bewohner einer Wohngruppe.
Ein gutes Team arbeitet auf Augenhöhe. Zum Team gehören alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Jugendhilfeeinrichtung. Das wird leider allzuoft vergessen. Zum Team gehört ebenso der Hausmeister, die Praktikanten und alle Hauswirtschaftskräfte. Hausmeister und Hauswirtschaftskräfte sind vorwiegend täglich (außer an Sonn- und Feiertagen) in einer Wonhgruppe zugegen. Hauswitschafterinnen sind oft Ansprechpartnerinnen der Kinder und Jugendlichen. Sie haben ebenso ein offenes Ohr und unterstützen die Bewohner so gut sie können.
Leider vergessen die Erziehungskräfte deren Arbeit nicht zu würdigen, nehmen sie nicht mit und arbeiten eher ungern im Team mit ihnen.
Die Hauswirtschafterin unserer Wohngruppe ist an 2 Vormittagen mit den Bewohnern allein im Haus. Das sind nur wenige Zeiten, dennoch wichtige Stunden der Begleitung und Alltagsbegleitend unersetzlich. Mit Hauswirtschafterinnnen umzugehen, als wäre sie unwichtig, erlebt man leider viel zu häufig. Fluktuation bei Erziehungskräften ist Alltag, Hausmeister und Hauswirtschafter bleiben auch den Jugendlichen über viele Jahre erhalten. Sie bielden oft die Gruppe der zuverlässigen Beständigkeiten, die gerade ein junger Mensch benötigt, der einen ungeraderen Weg gehen muß, als ein Kind, welches beständig und und beschützt im Eigenen Familienverbund aufwächst.